Leistungskurs Deutsch der Q1

Miteinander reden: Wie Kommunikation besser nicht ablaufen sollte

Der Deutsch-Leistungskurs der Q1 beschäftigt sich gerade mit gelingender und weniger
gelungener Kommunikation zwischen Eltern und Kindern, zwischen Paaren oder zwischen
einer Klavierlehrerin und ihrem unmotivierten Schüler. Demnächst lesen sie eine der
Höhepunkte der misslingenden Gespräche, das Drama „Der Gott des Gemetzels“ von
Yasmina Reza. Ein Muss für alle, die wissen wollen, wie man sich als Eltern nicht über
Streitigkeiten unter den Kindern unterhalten sollte. Aber nun ein Paar, welches nicht mehr
miteinander spricht, bei dem sich die zwischenmenschliche Kälte ausgebreitet hat. San
Salvador in Südamerika wird zum Sehnsuchtsort, dort soll es warm sein, aber ob die
Kommunikation dort besser gelingt? Die Schüler*innen sollten einen Paralleltext aus der
Sicht der Ehefrau schreiben. Aber zuerst einmal das Original:

Peter Bichsel: San Salvador
Er hatte sich eine Füllfeder gekauft. Nachdem er mehrmals seine Unterschrift, dann seine Initialen, seine Adresse, einige Wellenlinien, dann die Adresse seiner Eltern auf ein Blatt gezeichnet hatte, nahm er einen neuen Bogen, faltete ihn sorgfältig und schrieb: „Mir ist es hier zu kalt“, dann „ich gehe nach Südamerika“, dann hielt er inne, schraubte die Kappe auf die Feder, betrachtete den Bogen und sah, wie die Tinte eintrocknete und dunkel wurde (in der Papeterie garantierte man, dass sie schwarz werde), dann nahm er seine Feder erneut zur Hand und setzte noch großzügig seinen Namen Paul darunter. Dann saß er da. Später räumte er die Zeitungen vom Tisch, überflog dabei die Kinoinserate, dachte an irgendetwas, schob den Aschenbecher beiseite, zerriss den Zettel mit den Wellenlinien, entleerte seine Feder und füllte sie wieder. Für die Kinovorstellung war es jetzt zu spät. Die Probe des Kirchenchores dauert bis neun Uhr, um halb zehn würde Hildegard zurück sein. Er wartete auf Hildegard. Zu all dem Musik aus dem Radio. Jetzt drehte er das Radio ab. Auf
dem Tisch, mitten auf dem Tisch, lag nun der gefaltete Bogen, darauf stand in blauschwarzer Schrift sein Name Paul.
„Mir ist es hier zu kalt“, stand auch darauf. Nun würde also Hildegard heimkommen, um halb zehn. Es war jetzt neun Uhr. Sie läse seine Mitteilung, erschräke dabei, glaubte wohl das mit Südamerika nicht, würde dennoch die Hemden im Kasten zählen, etwas müsste ja geschehen sein. Sie würde in den „Löwen“ telefonieren. Der „Löwen“ ist mittwochs geschlossen. Sie würde lächeln und verzweifeln und sich damit abfinden, vielleicht. Sie würde sich mehrmals die Haare aus dem Gesicht streichen, mit dem Ringfinger der linken Hand beidseitig der Schläfe entlangfahren, dann den Mantel aufknöpfen.
Dann saß er da, überlegte, wem er einen Brief schreiben könnte, las die Gebrauchsanweisung für den Füller noch einmal leicht nach rechts drehen, las auch den französischen Text, verglich den englischen mit dem deutschen, sah wieder seinen Zettel, dachte an Palmen, dachte an Hildegard.
Saß da.
Um halb zehn kam Hildegard und fragte: „Schlafen die Kinder?“ Sie strich die Haare aus dem Gesicht.
Aus: Bichsel, Peter: Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennen lernen. Freiburg und Olten: Walter Verlag 1964. S. 35f.

„Innere Kälte“, von Finn Frölich
Um Punkt neun Uhr verließ sie die Kirche nach der Chorprobe. Es war eine warme Sommernacht, in welcher sie sich auf den Heimweg machte. Trotzdem fühlte sie sich kalt, emotionslos und fast schon automatisiert, wie sie die Straßen entlang lief. Um halb zehn würde sie zu Hause sein. Dort würde sie die schlafenden Kinder vorfinden, aber nicht Paul. Vermutete sie zumindest. Als erstes würde sie natürlich nach den Kindern sehen. Dann die Hemden von Paul nachzählen und im Löwen anrufen, dort müsse er sein. So wie immer, wenn er nicht daheim war. Also eigentlich immer. Schon bei dem Gedanken daran wanderte ihr linker Ringfinger entlang ihrer Schläfen. Würde sie verzweifeln, wenn Paul sie heute tatsächlich verließe? Sie würde sich vielleicht abfinden und im Wechselbad ihrer Gefühle lächeln, danach vielleicht verzweifeln. Und während sie ging, dachte sie nach, dachte an Paul und ihre Beziehung. Oder an das, was mal ihre Beziehung gewesen war. Es war halb zehn. Sie war da. Paul auch. Sie knöpfte ihren Mantel auf, als sie das Haus betrat. Sie fragte wieder wie automatisch und ohne nachzudenken: ,,Schlafen die Kinder?“ Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und es war wieder kalt.

„Auf nach Südamerika“ von Luke Bick
Noch war sie beim Kirchenchor. Sie holte einen Zettel heraus. Auf diesem stand geschrieben: „Ich kündige!“ Und weiter: „Ich gehe nach Südamerika, um meinem Alltag zu entfliehen.“ Zu Hause lagen noch weitere Zettel dieser Art, geschrieben für die verschiedensten Personen: Familienmitglieder oder Freunde. Auf den Zetteln für die enger stehenden Personen stand zudem geschrieben: „Gemeinsam mit Paul und den Kindern. Ob
Paul diesen Plan versteht und unterstützt. Ich weiß es nicht!“. Die Chormitglieder redeten die ganze Zeit. Es nervte! Ein weiterer Zettel fiel ihr aus der Tasche: „Ich kündige! Ich gehe nach Südamerika, um meinem Alltag zu entfliehen.“ Mehr stand noch nicht drauf, weiter hatte sie diesen Brief noch nicht geschrieben. Um halb zehn würde sie zu Hause sein. „Ob Paul gespannt auf sie wartet?“, dachte sie sich. So gerne wünschte sie sich, dass Paul und sie wieder mehr miteinander erleben würden. Jetzt hatte sie Feierabend! Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht, knöpfte sich den Mantel zu. Auf dem Weg nach Hause dachte sie sich, wie schön es doch wäre, alles hinter sich zu lassen, mit Paul und den Kindern nach Südamerika. Es wäre so schön!
Sie war zu Hause! „Schlafen die Kinder?“, fragte sie direkt beim Hereintreten. Vielleicht nicht die beste Art, Paul zu begrüßen, und zu sagen, sie wäre wieder da, den Gedanken hatte sie aber auch. Sie fand Paul weder in der Stube, noch in der Küche. Er war bereits zu Bett gegangen. Auf dem Esstisch lag ein Zettel. „Ob Paul den liegen gelassen hat?“, fragte sie sich. Sie las: „Mir ist es hier zu kalt, ich gehe nach Südamerika“, sie lächelte. Darüber wird sie mit Paul auf jeden Fall morgen reden.

„Zwei Regentropfen nebeneinander“ von Angelina Schrey
Es war fünf nach neun als sich schließlich alle Mitglieder des Kirchenchors voneinander verabschiedeten. Alle wurden von dem Partner oder der Partnerin abgeholt oder freuten sich, endlich nach Hause zu den Geliebten zu kommen. Natürlich freute sich auch Hildegard, besonders auf ihre Kinder, aber dennoch fragte sie sich, wie so oft, wenn sie nach den Proben in ein Taxi stieg, was wäre, wenn sie einfach sitzen bleiben würde. Wenn sie nicht vor ihrer und Pauls Wohnung aussteigen würde. Jedoch ignorierte Hildegard, wie jedes Mal, diese Gedanken. Trotzdem war sie neugierig. Zu gerne wollte sie wissen, wie Paul dann reagieren würde. Wahrscheinlich würde er sich erst Sorgen machen, sobald er erfuhr, dass sie zwar am Mittwochabend wie üblich mit einem Taxi gefahren war, nur dieses Mal offenbar nicht ankam. Dann würde er sich etwas für die Kinder ausdenken und Hildegards Verschwinden schließlich verkraften und einfach weiterleben.
Sie beobachtete zwei Regentropfen an der Autofensterscheibe und verfolgte die Spuren, die sie aus Wasser hinterließen. Sie kannte den Taxifahrer, er hatte sie schon ein paarmal gefahren. Sie redeten eine Weile über belanglose Dinge. Als der Wagen um halb zehn vor der Wohnung hielt, stieg sie aus und gab wie immer großzügig Trinkgeld. Dann ging Hildegard zur Tür, schloss sie auf und betrat die gewohnten vier Wände, die ihr zu Hause bildeten. Wie jede Woche erblickte sie Paul, der am Tisch saß und irgendetwas in der Hand hielt. Es sah aus wie ein Füller oder so etwas. Und wie jede Woche fragte sie ihn: „Schlafen die Kinder?“ Und plötzlich dachte sie darüber nach, was wäre, wenn nicht sie sondern Paul wegginge und wie sie reagieren würde.